Ein Hofkammerbeamter als Tagger

Wenn jemand Graffiti sagt, dann denkt jeder sofort an Jugendliche, die mit Spraydosen bewaffnet durch die Städte ziehen, die heimlich Bahndämme und Brücken erklimmen, um dort ihre Tags - also ihre Signaturkürzel - zu hinterlassen. Man denkt an Gangs und Hip Hop, an einsame Hinterhöfe und die Subkultur auf den Straßen der Stadt.

Woran sicher niemand denkt, ist die Biedermeier-Zeit, den Wiener Hof und die Idylle der österreichischen Alpen. Aber genau dann und dort wurde das Taggen geboren!Es ist das 19. Jahrhundert, und Joseph Kyselak, geboren 1799, ist einfacher Hofbeamter in Wien. Er stammt aus einer bürgerlichen Beamtenfamilie, ein völlig durchschnittlicher Kerl. Wäre da nicht diese Wette gewesen. Denn der junge Kyselak wettet, dass er binnen drei Jahren in der gesamten Monarchie bekannt sein will.

Doch wie soll er das anstellen? Er ist ja, wie wir bereits wissen, ziemlich durchschnittlich, mit besonderen Fähigkeiten wird er also nicht glänzen können. Kyselak hat eine Idee. Er reist herum - und wo immer er hinkommt, hinterlässt er seine Unterschrift: Bald prangt sein Name an Denkmälern und Mauern, an Gebäuden, ja sogar an Berggipfeln. Als er jedoch ein kaiserliches Gebäude bemalt, ist das Maß voll: Kaiser Franz der Erste lässt Kyselak zu sich rufen und stellt den ersten Tag-Vandalen der Weltgeschichte zur Rede. Reumütig gelobt Kyselak Besserung.

Als er den Kaiser verlässt, findet dieser Kyselaks Namen in seinen Schreibtisch eingeritzt. Mit Geschichten wie dieser hat sich Kyselak einen Namen als Vater der Tag-Kultur gemacht. Die Wette gewann er übrigens - schon nach anderthalb Jahren gab sich sein Gegner geschlagen und zahlte ihm den Wettgewinn.

Der mysteriöse Kilroy

„Kilroy was here“ (Kilroy war hier): Dieser Satz stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals sorgte der mysteriöse Kilroy, der an den seltsamsten und unmöglichsten Stellen aufzutauchen schien, für Spekulationen. Und es war ja nicht nur der Satz. Zusammen mit dem Schriftzug - und manchmal auch ohne diesen - fand man eine kleine Zeichnung, die selbst heutzutage jeder schon irgendwo gesehen hat: Zwei Augen, die über eine Mauer schauen, eine lange Nase, manchmal daneben zwei Hände. Sonst nichts. Wer war dieser Kilroy? Ein amerikanischer Super-Agent?

Bis auf den heutigen Tag weiß man nicht, wer der ursprüngliche Kilroy wirklich gewesen ist. Die wahrscheinlichste Erklärung geht zurück auf den Schiffsinspektor James J. Kilroy. Er überprüfte die Nieten an den Schiffen. Um Fehler zu vermeiden, signierte er nach getaner Arbeit den Schiffsrumpf mit dem Satz „Kilroy was here“.

Später, als auf den Schiffen Soldaten transportiert wurden, war der Satz ein großes Rätsel - und eine willkommene Ablenkung für die Soldaten. Wer war Kilroy? Warum war er immer zuerst da? Dies ist die glaubhafteste Geschichte - allerdings gibt es auch Kilroy-Graffiti, die älter sind als der Zweite Weltkrieg. Für die Soldaten machte es keinen Unterschied: Aus dem Gedankenspiel wurde ein richtiger Wettbewerb. Wer schaffte es, das Bild und den Satz zuerst auf fremdem Terrain anzubringen?

Kilroy wurde verbreitet wie die heutigen Territorial-Tags der Gangs - mit dem Unterschied, dass es immer Kilroy war, den die Soldaten hinterließen.
Kilroys Siegeszug war auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufzuhalten. Bis heute findet man das Mauermännchen an Straßenzügen und auf Schultoiletten - sogar auf dem Mond soll ein Astronaut es in den Staub gemalt haben. Eine bedeutende Karriere für jemanden, der niemals identifiziert werden konnte.

Die ältesten Graffiti

Wer bei Graffiti nun immer noch an jugendliche Straßengangs denkt, der folge uns ins Altertum. Wir wollen jetzt nicht argumentieren, dass schon die Höhlenmenschen an Wände schmierten. Nein, ein Graffiti ist immer eine Gratwanderung zwischen Kunst und Vandalismus, es wird im öffentlichen Raum platziert - immer ohne Einverständnis dessen, dem der bemalte Untergrund gehört.

Dennoch - auch nach dieser Definition finden wir Graffiti im alten Ägypten, bei den Römern und Griechen. Schon 3000 v. Chr. wurden Segenswünsche und Gebete in Tempelmauern geritzt.

Die Römer kritzelten Karikaturen von Politikern an die Wände des Senats. Das berühmte Alexamenos Graffito zeigt einen gekreuzigten Esel: Eine blasphemische Darstellung von Jesus Christus.

Und auch erste Spuren des Antigraffiti und der Graffitientfernung finden sich: Der Versuch, die eingeritzten, wenig schmeichelhaften Skizzen zu eliminieren. Die alten Griechen, die Maya, die Wikinger: Graffiti sind so alt wie die Kulturen der Menschheit. Seit jeher versuchen Menschen, ihre Spuren unerlaubt an Wänden zu hinterlassen - und die, denen die Wände gehören, versuchen, sich der Graffiti zu erwehren.

Ruhm und Ehre

Für Hausbesitzer, Städte und Gemeinden ein Ärgernis - für die möglichst schwer erreichbaren, gut überwachten Orten zu hinterlassen. Ein Katz und Maus Spiel, das Eigentümer oft teuer zu stehen kommt. Die Sprayer hingegen sehen sich als Künstler - und tatsächlich bringen es manche zu Ruhm und Ehre.

Welches ist aber das berühmteste Graffito der Welt? Jedes Land hat seine eigene Graffiti Kultur. Fragt man die Menschen im Rheinland, dann nennen sie sicher die Graffiti-Bananen, die durch den Künstler Thomas Baumgärtel in ganz Köln verteilt wurden.

Die Briten werden sicher ihren Graffiti-Künstler Banksy nennen, dessen Identität trotz etlicher anerkannter Kunstausstellungen und zweier erfolgreich veröffentlichter Bücher bis heute nicht ganz geklärt ist.

Und in den Vereinigten Staaten weiß jeder genau, wie das berühmte Obama Graffito aussieht, das während der Präsidentschafts-Kampagne in den Städten zu sehen war. Ob politisch, künstlerisch oder einfach nur provokativ: Graffiti sind allgegenwärtig.

Es kommt doch auf die Größe an

Für die nach Aufmerksamkeit heischenden Graffiti-Sprayer steht natürlich fest: Je größer, desto besser. Und während der Hausbesitzer verzweifelt vor der Aufgabe steht, die Riesen-Schmiererei wieder los zu werden, wetteifern die Tagger darum, sich möglichst prominent in Szene zu setzen. Welches ist aber das allergrößte Graffiti auf der Welt?

Auch darüber streitet man sich. Das größte Einzelgraffito dürfte wohl von dem Sprayer „Saber“ in Los Angeles stammen, der an den Zementwänden des L.A. Flusses entlang ein Fresko in der Größe eines Fußballstadions hinterließ, das man sogar aus dem Weltraum erkennen konnte. Das Kunstwerk brauchte ein Jahr bis zur Vollendung - ein Jahr, in dem Saber übrigens nicht auch nur ein einziges Mal von der Polizei oder den Kontrolltrupps der Bahn gesehen wurde.

Die wohl größte mit Graffiti bemalte Wand ist sicherlich die Berliner Mauer. Hier waren die Graffiti als Protest gegen die Teilung Deutschlands - obwohl offiziell illegal - doch schweigend geduldet. Ein nennenswerter Graffitischutz fand nicht statt. Auf 1378 Kilometern wurden Kunstwerke hinterlassen und Namen gekritzelt - und gleich darauf mit neuen Graffiti übermalt. Einige Stücke der „East Side Gallery“ sind heute noch in Berlin zu bewundern. Die meisten Graffiti der Mauer fielen jedoch der sicher radikalsten Art der Graffitientfernung zum Opfer: Die Mauer wurde eingerissen.

Irgendjemand zahlt den Preis

Auch wenn manche politisch motiviert oder künstlerisch wertvoll sind - ein Großteil der Graffiti sind eben einfach nur illegale Schmierereien. Ca. 200 Millionen Euro kostet die Graffitientfernung jedes Jahr allein in Deutschland. Die Hälfte dieser gigantischen Summe tragen private Eigentümer. Denn ob das Graffito nun Kunst ist oder nicht, ist rechtlich gesehen völlig unerheblich. Wer ohne Erlaubnis des Eigentümers Wände bemalt, begeht Sachbeschädigung.

Die Kosten für die Beseitigung hat der Täter zu tragen - wenn man ihn erwischt. Aber gerade das ist bei Sprayern oft nicht der Fall. So zahlt der Besitzer selbst. Und das kann teuer werden.

Kleinere Tags zu beseitigen kostet zwischen 150 und 1000 Euro, ein Scratching in Bahn oder Bus schon über 2000 Euro.

Das riesige, bereits erwähnte Tag, das der Graffiti-Künstler Saber in Los Angeles hinterlassen hat und das es ins Guinness Buch der Rekorde schaffte, wurde 1997 entfernt. Die Kosten trug der Steuerzahler: 800.000 Dollar.

Aus Katz und Maus wird Katz und Ratte

Und so geht es immer weiter, das ewige Katz und Maus Spiel zwischen Sprayern und Antigraffiti Einheiten. Und manchmal unterläuft sogar dem Graffitischutz eine peinliche Panne. So bat Melbournes Bürgermeisterin unlängst zu einer großen Reinigungsaktion der hippen Einkaufsmeile Hosier Lane: Die Straße ist für ihre bunte Straßenkunst bekannt.

Die Säuberungstrupps sollten nun Müll und Schmierereien entfernen. Sie waren leider etwas zu übereifrig. Die Straßenreiniger schrubbten gerade ein Bild weg, das eine Ratte zeigte, die an einem Fallschirm hing. Da wurden sie von einer Passantin angesprochen: „Sind Sie sich eigentlich im Klaren, dass Sie gerade einen echten Banksy entfernen?“

Die Ratte, das Wahrzeichen des weltweit wohl bekanntesten Graffiti-Künstlers, war ca. 5000 Dollar wert. Und dies war nicht das einzige Bild Banksys, das dieses Schicksal ereilte: Auch seine Heimatstadt Bristol übermalte eines seiner Werke im Wert von 110.000 Euro.

Dieses Risiko geht eben jeder ein, der ein Graffiti-Künstler ist - oder sich dafür hält. Ob das Werk Kunst ist oder Schmiererei, ob es bleiben darf oder entfernt werden soll, das entscheidet am Ende dann doch wieder der Besitzer der Wand.

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